In: INFO 7, 2/91
Frühjahrstagung der Presse-, Rundfunk und Filmarchivare im "Verein
deutscher Archivare"
Ausgerechnet im ersten Jahr der deutschen Vereinigung zog es die Fachgruppe der Medienarchivare und Mediendokumentare ins Ausland. Nach mehreren Anläufen machte der agile Fernseharchivleiter des Österreichischen Rundfunks, Peter D u s e k, eine Einladung nach Wien möglich, und der Tagungsort war auch Programm. Die Österreichische Hauptstadt als Drehscheibe zwischen Ost und West inspirierte zum Tagungsthema: "Archivkooperation und Informationsaustausch in Ost- und Westeuropa unter neuen politischen Vorzeichen".
Rund 130 Teilnehmer aus Deutschland - darunter einige nun schon bekannte Gesichter aus den neuen Ländern - , Österreich, der Schweiz, den Niederlanden sowie aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn diskutierten im großen Sendesaal des Funkhauses und später im ORF-Zentrum über die Folgen der neueren und der kommenden europäischen Entwicklung für einen Berufsstand, der sich selbst im Umbruch befindet. Darauf hoben insbesondere auch die Grußworte ab, die von hochkarätigen Mitgliedern benachbarter und befreundeter Berufsverbände gesprochen wurden,und zwar von Hofrat Gerhard P f e r s c h y, dem Präsidenten des Verbandes Österreichischer Archivare (VÖA), von Hofrat Dietrich
S c h ü l l e r für die Arbeitsgemeinschaft audiovisueller Archive Österreichs (AGAVA), von Oberrat Leopold A u e r für den Internationalen Archivrat (ICA) und von Arnoud d e K e mp, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (DGD). Als Hausherr hieß ORF-Hörfunkintendant Rudolf N a g i l l e r die Gäste willkommen, wobei er zwischen dem Tagungsthema und der "Rolle des ORF als Plattform Mitteleuropas" leicht die Verbindung herstellte.
Den einführenden Hauptvortrag zum Thema "Medienarchive in Umbruchzeiten" hielt Peter D u s e k. Nach einer großen Tour d'horizon über die Umbrüche in der Geschichte und ihre jeweilige Reflexion in Chroniken, Bildern, Gedichten und Liedern leitete er zur Aufgabe heutiger Medienarchive über, die er zu nicht geringen Teilen in der Bewahrung und Verfügbarmachung der jeweiligen Zeitgeschichte begründet sieht. Insbesondere auch aus Kosten-Nutzen-Erwägungen werde "die Entdeckungsreise in die Vergangenheit" zumal für Rundfunkanstalten mit ihrem besonders "teuren" audiovisuellen Archivgut immer sinnvoll sein. Medienarchive seien "Vorratskammern für die historische Standortbestimmung", und verglichen mit den Herstellungskosten neuer Programme sei die "Revitalisierung der Altbestände" überaus kostengünstig.
Den Nachmittag des ersten Tages bestimmte das Rahmenthema: "Wie und wo informieren sich unsere Auslandskorrespondenten? - Die Situation vor Ort und die Bedeutung der zentralen Informationsversorgungseinrichtungen in Medienunternehmen." Nach einer Einführung in einige grundsätzliche Versorgungsprobleme von Auslandskorrespondenten durch Karl S t i p s i c z (ORF-Büro Budapest) gingen Michael F r a n k (Süddeutsche Zeitung, Wien) und Pit K l e in (Südwestfunk, Baden-Baden, mehrere Jahre ARD-Korrespondent in Spanien und Griechenland) ans "Eingemachte", indem sie konkret die Quellensituation und die Recherchemöglichkeiten ber alle möglichen technischen, insbesondere aber auch menschlichen Kanäle bewerteten. Die "Rolle der Heimatzentrale" hat dabei insbesondere die Bedeutung, daß dort bereits erste und umfassende Informationen einlaufen, während der Korrespondent noch im Dunkeln tappt. Dafür sorgen nicht zuletzt solche Nachrichtenverteilsysteme, wie sie anschließend Wolfgang V y s l o z i l am Beispiel der Datenbank der Österreichischen Nachrichtenagentur APA vorstellte. Zur abschließenden Podiumsdiskussion stießen dann noch einige Medienvertreter aus Osteuropa und den neuen Bundesländern, um vor allem auf den - gemessen an westlichen Maßstäben - Nachholbedarf bei der technischen und finanziellen Ausstattung ihrer Arbeitsplätze hinzuweisen.
Der zweite Tag brachte die nun schon eingeübte Aufteilung in Arbeitsgruppen, wobei sich die AG Text und Bild unter Leitung von Hanna K l e n k - S c h u b e r t (Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten) und Guda W i t t h u s (Nordwestzeitung Oldenburg) der Informationsgewinnung in der Pressedokumentation für die Auslandsberichterstattung widmete. Die AG AV-Dokumente wurde von Heiner S c h m i t t (ZDF) geleitet. Hier stand die Dokumentation von AV-Materialien unter dem Gesichtspunkt von Produktion und Programmaustausch im Vordergrund. Die AG Tondokumente schließlich, betreut von Dieter
S i e b e n k ä s (Deutschlandfunk), beantwortete die gestellte Frage nach einem osteuropäischen Musikmarkt zunächst negativ, sah aber für die Zukunft hoffnungsvolle Ansätze für die wechselweise Rückführung der im Gefolge des 2.Weltkriegs verlagerten Tonträgersammlungen und auch neue Möglichkeiten für den Programmaustausch.
Der letzte Tag brachte im Plenum die Berichte ber die AG-Sitzungen des Vortags und zwei hochaktuelle Vorträge zum Thema Datenschutz in Europa. Josef W a n d e l e r (Trialog AG, Zrich) beleuchtete die Schweizer Situation, wobei er auch kritisch auf die "Fichen-Affäre" einging. Walter D o h r, Datenschutzbeauftragter im Österreichischen Bundeskanzleramnt, stellte zunächst anhand von Fallstudien die europäische Rechtslage dar und konfrontierte sie dann mit möglichen Auswirkungen auf die Medienarchive.
Emotional wurde die Tagung der Medienarchivare in Wien durch ein vom Wiener "Ortskomitee" hervorragend organisiertes Rahmenprogramm unterstützt. Es umfaßte eine Wien-Führung bei herrlichem Frühlingswetter durch Peter D u s e k, einen Heurigenbesuch auf Einladung des ORF, einen Cocktailempfang im Rathaus bei Wiener Klaviermusik und einen abschließenden Schönbrunn-Besuch. Bei seinem Dank an die Veranstalter und Teilnehmer der Frühjahrstagung konnte Fachgruppenvorsitzender Eckhard L a n g e am Ende festhalten, daß allen aktuellen Widrigkeiten zum Trotz, die etwa den Reformeifer in den neuen Bundesländern ebenso bremsen wie den Fortschritt in den Nachbarländern CSFR, Polen und Ungarn, diese Tagung den Dialog zwischen Fachkollegen in Ost und West befördern half.
Eckhard Lange
02.03.2009